Die Begriffe weiße Privilegien, Innenschau, Demut und Fürsorge mögen auf den ersten Blick wie einzelne Schlagworte wirken. Doch zusammen bilden sie die Landkarte für einen tiefgreifenden und notwendigen Prozess der Selbstreflexion. Sie führen uns von der kritischen Betrachtung der eigenen, oft unbewussten Vorteile in der Gesellschaft zur fundamentalen ethischen Frage: Was gibt uns das Recht, uns über andere zu stellen? Dieser Weg ist nicht immer bequem, doch er ist die Voraussetzung für eine authentische Haltung, die auf Demut basiert und sich in gelebter Aufmerksamkeit und Fürsorge für unsere Mitmenschen ausdrückt. Es ist eine Reise von der passiven Annahme hin zur aktiven Übernahme von Verantwortung – für eine gerechtere und menschlichere Gemeinschaft.
Im Folgenden liste ich daher diese Schlagworte auf, um sie näher zu definieren um dann am Ende im Fazit die Zusammenhänge darzulegen.
1. Weiße Menschen und Privilegien
Der Begriff “Weißes Privileg” (White Privilege) beschreibt nicht, dass weiße Menschen keine Schwierigkeiten im Leben haben oder reich sind. Er beschreibt die unverdienten, oft unsichtbaren Vorteile, die weiße Menschen in einer Gesellschaft genießen, die historisch und strukturell von weißen Normen geprägt ist.
Beispiele für Privilegien:
- Positive Repräsentation: Man sieht Menschen, die aussehen wie man selbst, in den Medien, in der Politik und in Führungspositionen, was als normal und erstrebenswert dargestellt wird.
- Systemisches Vertrauen: Man wird von Institutionen wie der Polizei, dem Justizsystem oder bei der Wohnungssuche seltener aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt oder mit Misstrauen behandelt.
- Kulturelle Normalität: Die eigene Kultur, die eigenen Feiertage und die eigene Geschichte werden als allgemeingültiger Standard angesehen, während andere als “ethnisch” oder “exotisch” gelten.
- Freiheit von rassistischer Last: Man muss sich und seinen Kindern nicht beibringen, wie man sich vor rassistischen Angriffen oder Mikroaggressionen schützt. Man wird selten gebeten, für die gesamte “eigene Rasse” zu sprechen.
2. Innenschau (Introspektion)
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien erfordert eine ehrliche und oft unangenehme Innenschau. Es geht darum, sich selbst zu fragen:
- Wo habe ich von diesen Strukturen profitiert, ohne es zu merken?
- Welche unbewussten Vorurteile (Unconscious Bias) habe ich?
- Wie reagiere ich, wenn ich auf meine Privilegien hingewiesen werde? Mit Abwehr und Rechtfertigung oder mit Offenheit?
- In welchen Situationen habe ich geschwiegen, obwohl ich Ungerechtigkeit beobachtet habe?
Dieser Prozess ist keine einmalige Sache, sondern eine lebenslange Übung in Selbstreflexion.
3. Was gibt uns das Recht, uns über andere zu stellen?
Dies ist die zentrale ethische Frage. Die ehrliche Antwort lautet: Nichts. Kein Mensch und keine Gruppe hat ein angeborenes Recht, sich über eine andere zu stellen. Historisch wurde dieses “Recht” durch Macht, Gewalt, Pseudowissenschaft und die Konstruktion von Ideologien wie dem Rassismus und Kolonialismus beansprucht, um Ausbeutung und Unterdrückung zu rechtfertigen. Diese Frage zu stellen, bedeutet, diese historischen und gegenwärtigen Machtstrukturen fundamental abzulehnen.
4. Demut
Wenn man die eigene privilegierte Position und die Ungerechtigkeit der daraus resultierenden Hierarchien erkennt, ist Demut die logische und notwendige Konsequenz. Demut bedeutet hier:
- Anerkennen, nicht alles zu wissen: Die eigenen Erfahrungen sind nicht universell. Man muss den Erfahrungen und dem Wissen von marginalisierten Menschen zuhören und glauben.
- Sich selbst zurücknehmen: Nicht immer im Mittelpunkt stehen zu wollen, besonders in Diskussionen über Rassismus.
- Fehler eingestehen: Zu akzeptieren, dass man Fehler machen wird, und bereit zu sein, daraus zu lernen, ohne sich in Schuldgefühlen zu verlieren. Schuld lähmt, Verantwortung führt zum Handeln.
5. Fürsorge und Aufmerksamkeit
Demut und Innenschau führen idealerweise zu einem veränderten Handeln, das von Fürsorge und Aufmerksamkeit geprägt ist.
- Aufmerksamkeit: Das ist die aktive Praxis, hinzuschauen und zuzuhören.
- Wem wird in einer Runde zugehört und wem nicht?
- Wer wird in den Medien wie dargestellt?
- Welche kleinen, alltäglichen Bemerkungen (Mikroaggressionen) verletzen andere?
- Aufmerksamkeit ist die Voraussetzung, um überhaupt Ungerechtigkeiten erkennen zu können.
- Fürsorge (Care): Das ist die tätige Sorge um das Wohlergehen anderer und der Gemeinschaft.
- Allyship (Verbündetenschaft): Die eigenen Privilegien nutzen, um sich für andere einzusetzen. Das kann bedeuten, rassistischen Witzen zu widersprechen, sich für diversere Teams bei der Arbeit einzusetzen oder Organisationen zu unterstützen, die gegen Rassismus kämpfen.
- Empathie: Aktiv versuchen, die Perspektive anderer zu verstehen und anzuerkennen.
- Verantwortung übernehmen: Nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch für die Strukturen, die man mitgestaltet.
Fazit
Die genannten Themen beschreiben einen transformativen Prozess: von der unbewussten Teilhabe an einem privilegierten System bis hin zu einer bewussten, verantwortungsvollen und fürsorglichen Haltung. Es ist ein Weg, der nicht auf Schuld abzielt, sondern auf die Übernahme von Verantwortung, um eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft für alle zu schaffen.